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24. 11. 2024 - 03:55 Uhr

Der Bonifatiusstein auf dem Brink bei Burgwalde

In der Nähe des Rusteberges liegt das Dorf Burgwalde. Von dem Dorf aus führt ein Kreuzweg zu einer kleinen Anhöhe hinauf, die von einer Fichtengruppe bestanden ist. Inmitten der Bäume steht eine nicht sehr große, aus rotem Sandstein erbaute Kapelle, die dem heiligen Bonifatius geweiht ist.

Es wird ja erzählt, dass der große Heilige auf einer seiner Missionsfahrten auch in dieser Gegend gewesen sein soll. Auf der kleinen Anhöhe, die Brink genannt wird, steht hinter der Kapelle der „Bonifatiusstein“, den man auch „Taufstein des heiligen Bonifatius“ nennt. Es ist ein aus Sandstein bestehender, altersgrauer, gewaltiger Felsblock mit einer beckenartigen Vertiefung in der Mitte. Diese soll, nach Angabe der Dorfbewohner, das ganze Jahr hindurch ein bräunlich gefärbtes Wasser enthalten. Die Lage des Felsens deutet darauf hin, dass sich an dieser Stelle einst eine altheidnische Opferstätte befand und dass der Felsblock als Opferstein dienste. Nach der Sage hat der Apostel der Deutschen hier oben das Christentum gepredigt und dem altgermanischen Götterdienst an dieser Stelle ein Ende bereitet. Die Überlieferung weiß zu berichten:

Es war um jene Zeit, in der Bonifatius durch Germanien zog, um der Bevölkerung den christlichen Glauben zu predigen. Auf seiner Wanderung kam er auch in das obere Tal der Leine. In der nähe des heutigen Dorfes Schönau hatte er für sich und seine Gefährten eine einfache Wohnung errichtet. Jeden Abend, wenn das Licht des Tages blasser wurde, stieg der Verkünder des Gotteswortes die Anhöhe hinauf zum Brink, wo er den sich dort versammelnden Leuten die Lehre des Gekreuzigten verkündete. Doch die Worte, die es zu hören gab, waren hart, und die Zuhörer wurden von Tag zu Tag weniger. So vergingen Wochen.

Eines Tages, als Bonifatius wieder auf die Anhöhe gestiegen war, fand er den Platz leer. Kein Mensch war zu sehen, wohl aber wer ein gewaltiger Holzstoß aufgestapelt. Zunächst stutzte der heilige Mann, doch dann fiel ihm ein, dass am nächsten Tag das Fest der Sommersonnenwende gefeiert werden sollte. Er kannte die germanischen Bräuche und wusste, dass das Fest mit Sonnenaufgang beginnen wurde. Man würde dem Gott Wotan ein schneeweißes Pferd opfern und anschließend ein großes Gelage halten.

Betrübt trat Bonifatius den Rückweg an. Mit seinen Gefährten verbracht er die ganze Nacht  im Gebet und Bat den Herrn, sein Gott, doch den Sinn der Menschen zu ändern. Kaum war die Mitternachtsstunde vorüber, als die ersten Trupps der Germanen, mit Frauen und Kindern, aus den Tälern der Umgegend heranzogen, um dem Fest auf dem Berge beizuwohnen. Immer größer wurde die Zahl der Versammelten. Als über den bewaldeten Höhen des Ostens das erste Frührot zu sehen war, teilte sich die Menge. Herangebracht wurde das weiße Opferross, bekränzt mit den heiligen Mistelzweigen. An den Opferstein wurde es geführt und bereitwillige Hände hielten das Tier fest. Ein alter, ehrenwürdiger Opferpriester, um dessen Stirn ein Eichenkranz gewunden war, trat zu dem Pferd, in der kraftvollen Rechten ein langes Opfermesser haltend. Seine Augen richteten sich nach Osten, wo in Kürze die Sonne über den Wipfeln der Bäume erscheinen musste. Die Unterhaltung der Umstehenden verstummte, und alle Blicke folgten dem des Priesters. Die Morgenröte leuchtete immer heller, und plötzlich ergoss die Sonne, welche das Auge Wotans genannt wurde, ihre ersten Strahlen über die bewaldeten Berge und tauchte die ganze Landschaft in ihr goldenes Licht. Die Versammelten jubelten und riefen:

„Heil Wotan, Heil dem Großen!“

Doch sofort wurde es wieder still in der Runde. Man wartete weiter. Sobald aber die Sonnenscheibe in ihrem Frühglanz zu sehen war, stieß der Priester die Klinge seines Messers in die Brust des Pferdes. Kaum war das Tier getroffen, sprang es unerwartet zur Seite und fiel neben dem Opferstein zu Boden. Das der Wunde entströmende Blut ergoss sich statt in die beckenförmige Vertiefung des Opfersteines auf die Erde und versickerte zwischen den Halmen des Grases. Mit großer Bestürzung hatten die Umstehenden den Vorgang bemerkt und sahen in ihm eine üble Vorbedeutung. Der  Opferpriester, selbst überrascht, stieß eine grässliche Verwünschung aus, war jedoch schnell wieder gefasst und waltete weiter seines Amtes. Während er das Opfertier zerlegte, wurde der gewaltige Holzstoß in Brand gesteckt, und die Flammen loderten grell in die Höhe. Das Opferfleisch wurde in den bereitstehenden Kessel gelegt, und es dauerte nicht lange, so brodelte darin das Fleisch, vermischt mit Lauch und Mistel.

Während des Geschehens auf dem Brink hatte Bonifatius nach durchbeteter Nacht in seiner Klause das heiliger Opfer gefeiert und den Herrn noch einmal gebeten, doch dem Volk die Sinne zu öffnen und es für die christliche Lehre zu bereiten. Nachdem er die heilige Handlung vollendet hatte, nahm er das Kruzifix und begab sich zur Opferstätte auf dem Berg. Furchtlos stieg er die Anhöhe hinan. Als die Versammelten ihn erblickten, empfingen sie ihn mit einem drohenden Murren. Bonifatius erhob die Hand zum Zeichen, dass er reden wolle, doch das Murren wurde lauter, und die wehrfähigen Männer schlugen drohend auf ihre Schilde. Da trat ein alter Mann auf Bonifatius zu, richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und redete ihn an:

„Tag für Tag hast du uns die Macht deines Gottes gerühmt, und wir haben dir stillschweigend zugehört. Darüber ist unser Gott Wotan erzürnt, denn schon zwei Monde lang sind wir ohne Regen, und ringsumher vertrocknet alles. Unsere Felder sind gelb, und die Leine, die sonst reichliches Wasser bringt, ist ein schmaler Bach geworden. Wenn dein Gott wirklich so große Macht hat, wie du uns erzählst, so möge er jetzt das Becken des Opfersteins mit Wasser füllen. Wenn er es kann, wollen wir gern an ihn glauben. Kann er es nicht, bist du ein Lügner und wirst deine Strafe empfangen.“ Die Umstehenden stimmen dem Redner zu und schauten gespannt auf Bonifatius. Dieser antwortete nicht, sondern breitete seine Arme aus und betete noch einmal zum Herrn, damit er diesen Menschen die Augen öffne. Dann machte er mit seinem Kruzifix das Zeichen des Kreuzes über den Stein, und zur Verwunderung aller war ein leises Rieseln vernehmbar, als ob eine Quelle der Erde entsprungen wäre. Als man aber hinschaute, sah man, dass sich ganz langsam das steinerne Becken mit klarem Wasser füllte. Bestürzt standen alle, die es sahen, und wagten sich kaum zu rühren. In der Stille hinein sprach Bonifatius:

„Nun geht nach Hause; doch bevor die Sonne im Mittag steht, wird reichlicher Regen euch und auch eure Felder erquicken.“

Dann verließ er mit langsamen Schritten die Opferstätte. Zurück aber blieb eine erregte Menge. Hin und her wogten die Meinungen, doch was geschehen war, ließ sich nicht leugnen – das Wasser füllte noch immer die Höhlung des Steines. Als nun auch noch von Westen her dunkle Wolken herangezogen kamen, strebte man schnell den Behausungen zu. Bald rauschte strömender Regen hernieder und brachte das kostbare Nass, auf das man schon so lange wartete. An den folgenden Tagen stieg Bonifatius wieder wie vordem auf den Brink, und predigend unterrichtete er alle, die gekommen waren, in der christlichen Lehre. Dann taufte er sie mit dem Wasser, das er aus dem steinernen Becken schöpfte.

So wurde der vorchristliche Opferstein zum christlichen Taufstein, und noch heute wird der Stein „Taufstein des hl. Bonifatius“ genannt, und die Anhöhe nennt man noch heute den Bonifatiusberg.

Der kleine Bonifatiusstein

Als Ergänzung zu dieser großen gibt es noch eine kleine Geschichte. Kurz hinter Schönau steht an der Straße, die nach dem genannten Ort Burgwalde führt, der „kleine Bonifatiusstein“. Bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts war der etwa einen halben Meter hohe Stein mit einer Mitra, einer Bischofsmütze, geziert. Eines Tages lag diese an der Erde. Vielleicht hatte ein vorüberfahrender Wagen den Stein gerammt und dabei die Mitra abgeschlagen. Unbeachtet lag sie eine Zeitlang neben dem Stein. Dann war sie eines Tages verschwunden. Vielleicht hatte sie ein Liebhaber alter Dinge mitgenommen. Nun sieht man auf dem Stein nur noch ein Kapitell, das einmal die Bischofsmütze trug.

Von diesem Stein geht die Sage, dass der heilige Bonifatius an dieser Stelle täglich mit seinen Gefährten eine Andacht gehalten habe, um Gottes Hilfe für das begonnene Bekehrungswerk zu erflehen. Von hier aus sei der Heilige dann den „Schleifweg“ nach dem Brink hinaufgestiegen, wo er täglich predigte. Den Weg gibt es nicht mehr, doch alte Leute wissen noch, wo er frührer etwa verlaufen ist.